Forschungsprojekte

Entwicklung von Leitlinien und Entscheidungshilfen für die geothermische Aktivierung bestehender und zu sanierender Tunnel

Fördergeber Deutsche Bahn InfraGO AG
Projektpartner Politecnico di Torino
Projektdauer 01.10.2024 – 31.03.2025
Projektbearbeitung Simon Siegel, M.Sc. ,
Prof. Dr.-Ing. Hauke Zachert ,
M.Sc. Martin Scerbo,
M.Sc. Simone De Feudis,
Dr. Alessandra Insana,
Prof. Dr. Marco Barla
Kontakt Simon Siegel, M.Sc.

Zur Erreichung der Klimaziele bis 2045 plant Deutschland eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, was den Ausbau und Neubau von Bahnstrecken erforderlich macht – insbesondere durch Tunnel in dicht besiedelten Gebieten. Parallel dazu bleibt die Wärmewende eine Herausforderung: Während der Anteil an erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung inzwischen auf 57 % (https://www.destatis.de ) angewachsen ist, lag der Anteil an erneuerbaren Energien in der Wärme- und Kälteversorgung 2024 bei nur 18,1 % (Agentur für erneuerbare Energien ). Wärmepumpen, die Geothermie nutzen, gelten hier als Schlüsseltechnologie. Tunnelbauwerke bieten durch ihre erdberührten Strukturen ein bislang wenig genutztes Potenzial für geothermische Energiegewinnung.

Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, wie bestehende Eisenbahntunnel geothermisch aktiviert werden können, insbesondere im Zuge anstehender Instandsetzungen und Erneuerungen. Da ein erheblicher Teil des Tunnelbestands in Deutschland eine Nutzungsdauer von 100 Jahren bereits überschritten hat, sind laut Prognosen in den kommenden 20 Jahren umfangreiche Erneuerungsarbeiten an zahlreichen Tunneln mit einer Gesamtlänge von rund 33 km geplant (https://www.stuva.de). Diese baulichen Maßnahmen bieten die Chance, thermische Aktivierung frühzeitig zu integrieren und so zur klimafreundlichen Wärmeversorgung beizutragen.

Im ersten Arbeitspaket wurde eine systematische Analyse des Eisenbahntunnelbestands durchgeführt. Bauweise, Materialien, Alter und geologische Rahmenbedingungen wurden erfasst und für Klassifizierungen herangezogen. Darauf aufbauend wurden im zweiten Arbeitspaket technische Lösungen zur thermischen Aktivierung entwickelt, angepasst an verschiedene Tunneltypen und bauliche Szenarien.

Im dritten Arbeitspaket erfolgte eine Potenzialabschätzung mithilfe numerischer Simulationen. Dabei wurde das thermische Potenzial für verschiedene Tunnelklassen ermittelt und auf das gesamte Streckennetz der Deutschen Bahn hochgerechnet.

Ergebnisse

Durch die umfangreiche Datenanalyse des deutschen Tunnelbestands wurde ersichtlich, dass der Eisenbahntunnelbau durch historische Bauweisen geprägt ist. Eine Vielzahl von Tunneln wurde im 19. Jahrhundert gebaut, was sich in den Baumaterialien, dem baulichen Zustand und den geometrischen Abmessungen bemerkbar macht. Für viele solcher Tunnel sind Instandsetzungs- und Erneuerungsarbeiten unter schwierigen baubetrieblichen Randbedingungen notwendig, beispielsweise die Aufweitungen des Querschnitts zur Anpassung des Lichtraumprofils. Unter der Berücksichtigung gängiger Instandsetzungs- und Erneuerungsarbeiten wurden technische Methoden zur nachträglichen thermischen Aktivierung entwickelt. Dazu gehören vorgefertigte Betontübbinge mit integrierten Absorbern, mit Absorbern ausgestattete Tunnelsohle, Energiematten vor oder hinter der Tunnelwandung, mit Absorbern ausgestattete Halbfertigteile oder radiale Erdwärmesonden. Diese Lösungen lassen sich weitgehend in gängige Bauprozesse bei Tunnelinstandsetzungen sowie -Erneuerungen integrieren und flexibel anpassen.

Abbildung 1: Halbfertigteil mit angebrachten Absorbern
Abbildung 1: Halbfertigteil mit angebrachten Absorbern

Darüber hinaus wurde unter Berücksichtigung der gesammelten Informationen zu Tunnelgeometrie und geologischen Gegebenheiten das thermische Potenzial von 103 besonders erneuerungsbedürftigen Tunneln berechnet. Eine numerische Sensitivitätsanalyse ermittelte, welche Energiemengen sich bei verschiedenen Aktivierungstechniken gewinnen lassen. Dafür wurden ebenfalls verschiedene Szenarien bezüglich der hydrogeologischen Randbedingungen berücksichtigt (Tunnel liegt über Grundwasserspiegel, Tunnel liegt unter dem Grundwasserspiegel ohne Strömung und Tunnel liegt unter dem Grundwasserspiegel mit Strömung), um eine realistische Reichweite der verfügbaren thermischen Energiemengen abzubilden. Je nach Methode können im Winter bis zu 14,5 MW Heizleistung, im Sommer bis zu 35,3 MW Kühlleistung erzeugt werden (bei 30 Tagen Volllast je Kühl- oder Heizzyklus).

Abbildung 2: Gesamtwärmeleistung im Sommer (a) und im Winter (b) für 103 betrachtete Tunnel
Abbildung 2: Gesamtwärmeleistung im Sommer (a) und im Winter (b) für 103 betrachtete Tunnel

Das theoretische Gesamtpotenzial des Tunnelnetzes ist damit hoch, wobei jedoch aufgrund heterogener geologischer und hydrogeologischer Randbedingungen Annahmen konservativ getroffen wurden. Anhand zweier Beispieltunnel wurde das praktische Vorgehen zur Auswahl und Berechnung möglicher Aktivierungskonzepte demonstriert.